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Praxis

Wie läuft eine Infektion ab?

 

Viele an Borreliose erkrankte Personen erinnern sich nicht an einen Zeckenstich. Das liegt einmal an der Tatsache, daß der Infektionsbeginn lange zurückliegen kann und andererseits daran, daß gerade die Zeckenlarven und Zeckennymphen so klein sind, daß der Stich unbemerkt bleiben kann. Bereits die 0,8-1mm großen Zeckenlarven können aber Borrelien übertragen, da sie selbst schon zu etwa 1% transovariell infiziert wurden (Lit Magnarelli). Die Larven sind aber nur etwa zu 1% infiziert, das nächste Stadium, die etwa 1,5 mm große Nymphe, schon zu etwa 15-25%.

 

Nach der Übertragung der Borrelien durch den Zeckenstich kommt es zunächst zu einer lokalen Infektion der Haut. Ein klassisches Erythema migrans ("Wander­röte": eine normalerweise ring­förmige Rötung, die meist kaum Beschwer-den verursacht) wird bei 75% der Fälle beobachtet. Es verschwindet mitunter auch ohne Therapie, kann aber Monate bestehen bleiben und dehnt sich meist langsam von der Stichstelle in die Umgebung aus.

   

   

 

 

 

Wenn die Zecke beim Stich ein Blut- oder Lymphgefäß trifft, so gelangt der Erreger ohne Umwege in die Blutbahn und wird dort verteilt. Dann kann die Hautrötung fehlen und die Krankheit beginnt 7-14 Tage nach dem Stich mit grippeähnlichen Allgemeinsymptomen, Gliederschmerzen, Schweißausbrüchen und Angeschlagenheit.

Wenn bereits im Stadium des Erythema migrans Allgemein­symptome (Schweiß­aus­brüche, Ab­ge­schlagen­heit, Grippe­gefühl, Herzklopfen) auftreten, ist dies als als Zeichen der Erregerstreuung zu werten und markiert den Übergang ins klinische Stadium zwei. Nun ist also der Erreger nicht mehr auf den Ort der Lokalinfektion begrenzt, sondern kann sich überall im Körper befinden! Im Tierversuch waren die Borrelien zum Teil schon Stunden nach Infek­tions­beginn im Liquor nachweisbar (Lit: Garcia-Monco).

Der Sonderfall: Das Lymphozytom

 

In einigen Fällen sind die Lokalinfektion an der Haut deutlich anders aus als üblich. Bei Kindern sieht man gelegentlich auffalend „rote Ohren“. Diese Form entsteht oft dann, wenn die Infektion am Ohr selbst oder an der benachbarten Kopfhaut begonnen haben. Die Borrelien reichern sich in dem betroffenen Ohr an und verursachen eine leichte Schwellung des Gewebes.

Der Sonderfall: Das Lymphozytom

 

In einigen Fällen sind die Lokalinfektion an der Haut deutlich anders aus als üblich. Bei Kindern sieht man gelegentlich auffalend „rote Ohren“. Diese Form entsteht oft dann, wenn die Infektion am Ohr selbst oder an der benachbarten Kopfhaut begonnen haben. Die Borrelien reichern sich in dem betroffenen Ohr an und verursachen eine leichte Schwellung des Gewebes.

 

 

 

 

Der Erreger wird über die Blutbahn gestreut: das Stadium 2

 

Wenn sich der Erreger in der Haut eine Weile vermehrt hat (er tut das sehr langsam, deshalb wächst die Wanderröte nur um etwa 3mm pro Tag), wird er bei seiner Wanderung durch die Haut irgendwann ein Blutgefäß treffen und dann kommt es zur Streuung des Erregers über Blutbahn oder Lymphbahn. Dadurch treten dann die zitierten Allge­meinsymptome wie Abgeschlagenheit, Nacht­schweiß, Fieber, Muskel- und Gelenkschmerzen und selten eine Gewichtsabnahme auf. Manchmal wird auch Haarausfall beobachtet. Die Patienten berichten in dieser Phase über eine oft uner­trägliche Müdigkeit, Konzentrations­probleme und Schwindelattacken. Ganz besonders charak­teristisch sind extreme Schweißausbrüche (die Patienten ziehen sich nachts um, weil sie durchgeschwitzt sind) und Episoden mit unangenehmen Empfindungen durch einen schnellen und als heftig empfundenen Pulsschlag.

Wenn der Erreger nur in kleiner Zahl in der Blutbahn auftaucht, können diese Symptome auch sehr schwach sein.

 

In seltenen Fällen werden polytope Erytheme (Wanderröte an mehreren Körperstellen) beobachtet. Angeblich soll dies in Amerika wesentlich häufiger als in Europa sein. In einem solchen Fall ist zwingend von einer Erregerstreuung auszugehen.

 

unglaubliche Symptomvielfalt

 

Nach der Erregergeneralisation kommt es zu ersten Organsymptomen: Entzündliche Vorgänge an peripheren Nerven (Neuritiden) verursachen pseudoradikuläre Schmerz-Syndrome mit oft unerträglichen Schmerzen. Der Schmerzcharakter und die neurologischen Defizite einer Borrelien­neuritis können einen Bandscheibenvorfall imitieren. Das Schmerzmaximum liegt oft nachts, Belastung verschlimmert die Schmerzen, übliche Schmerzmittel und nichtsteroidale Antiphlogistika wie Diclofenac („Voltaren“) helfen fast nicht.

 

Sensorische Störungen („Ameisenlaufen“, Temperatursensationen mit Hitze- oder Kältegefühl) sind sehr häufig, motorische Ausfälle (also Lähmungen) ausgesprochen selten. Relativ häufig kommt es zu neurologischen Störungen, die an ein Carpaltunnelsyndrom denken lassen, was gelegentlich auch zur Operation der betreffenden Patienten führt.

 

Manchmal kommt es zu Hirnnervenausfällen (am häufigsten periphere Facialisparesen, aber auch Abducens, Statoacusticus, olfactorius etc. können betroffen sein!). Die Häufigkeit von Facialis­paresen wird aber krass überbewertet, was dadurch seine Erklärung findet, daß in vielen Fällen erst die Facialisparese Anlaß ist, an eine Borreliose zu denken.

 

Kappenförmige, vom Nacken ausstrahlende Kopfschmerzen, Schwin­del­attacken und Sehstörungen sind ebenso wie ein erhöhter Ruhepuls häufig. Die Patienten wachen manchmal mit unangenehmem Herzklopfen auf. Objektivierbare Hinweise auf eine Herzmuskelentzündung wie Extrasystolen- bzw. Reizleitungsstörungen sind dagegen eher selten. Die akute Lyme-Karditis kann zu einer passageren Myokardinsuffizienz mit Herz­vergrößerung führen. Sehr charakteristisch sind anfallsartige absolute Arrhythmien.

 

Passagere Kreatininerhöhungen und eine flüchtige Proteinurie als Zeichen einer Nierenbeteiligung werden meist übersehen. In dieser Phase 2 können auch bereits erste Gelenkentzündungen vorkommen. Dieses Stadium der Krankheit dauert unbehandelt wenige Wochen bis mehrere Monate.

 

Die Neuroborreliose mit Befall des Zentralnervensystems ist ein Sonderfall der Borrelieninfektion. Nur in einem Teil der Fälle (nach unserer Erfahrung circa 5%) kommt es zur Beteiligung des Zentralnervensystems (ZNS). Wenn diese auftritt, so in aller Regel in der frühen Phase (bis etwa 10 Wochen) der Erkrankung, in der noch keine Antikörper gebildet wurden. Bei der Neuro­borreliose kann durch Liquoruntersuchung und Vergleich mit den entsprechenden Serumwerten nachgewie­sen werden, daß im ZNS selbst eine Antikörperproduktion stattfindet (soge­nannte autochtone AK). Heute kann man auch die Borrelien selbst im Liquor mit kulturellen Methoden oder durch PCR (siehe unten) nachweisen. Während man in der Frühphase der Erforschung der Borreliose davon ausging, daß obligatorisch im Rahmen einer Borrelieninfektion auch eine Beteiligung des Zentralnervensystems mit entzündlichem Liquorsyndrom auftritt, weiß man heute, daß das klassische Vollbild der Meningopolyneuritis (Bannwarth-Syndrom) wohl eher die Ausnahme darstellt. Die meisten Borreliosemanifestationen sind rein peripherer Natur.

 

Neuerdings wissen wir, daß die Infektion regelhaft vaskulitische Prozesse in Nerven, Muskulatur und Knochengewebe auslöst und daß das Auftreten von Symptomen davon abhängt, ob im jeweiligen Gebiet eine ausreichende kapilläre Reserve vorhanden ist (Literatur: Duray).

 

 

 

Es ist noch immer Gegenstand der Diskussion, ob auch eine "neurotrope" Erreger­ausbreitung entlang peripherer Nerven ohne hämatogene oder lymphogene Streuung erfolgen kann. Sicher scheint inzwischen, daß die typischen Facialisparesen meist peripher bedingt und nicht obligat mit einer Liquorbeteiligung verknüpft sind (Literatur: Meier, Pfister etc.). Auch bei zahlreichen anderen publizierten Kasuistiken war der Liquor auch in der Akutphase der Erkrankung nicht entzündlich verändert.

 

latente Neuroborreliose

 

Andererseits berichtete Pfister auch über Patienten, bei denen Borrelien aus dem Liquor angezüchtet werden konnten, ohne daß entzündliche Veränderungen nachweisbar waren. Man kann also sicher nicht in jedem Fall davon ausgehen, daß ein Fehlen entzündlicher Liquorveränderungen eine Neuroborreliose ausschließt. Vermutlich benötigt die entzündliche Reaktion einige Zeit, so daß manchmal zwar schon Borrelien den Liquorraum erreicht haben, aber noch keine Entzündung nachweisbar ist.

 

der Erreger setzt sich fest: das chronische Stadium

 

Typisch sind zunächst "von Gelenk zu Gelenk springende" Entzündungen. Auch Muskel­entzündungen, Knochen­schmer­zen und Weichteilschmerzen sind charakteristisch. Als Begleit­symptome am häufigsten sind chronische Ent­zündungen peripherer Nerven (Polyneuropathie vom fleckförmigen Typ). Diese manifestieren sich vor allem in schmerzhaften, oft als brennend beschriebenen Mißempfindungen, die zum Beispiel ein Carpal­tunnelsyndrom imitieren können. Die elektroneurografischen Befunde bleiben aber lange fast normal.

 

Während der Generalisationsphase beginnt das körpereigene Immunsystem den Erreger zu bekämpfen. Abwehrstoffe („Antikörper“) werden gebildet und auch die zelluläre Immunantwort (weiße Blutkörperchen) reduziert die Zahl der Borrelien drastisch.

 

So überleben die Borrelien nur an einigen Stellen im Körper, die vom Immunsystem schlecht erreicht werden können, wie etwa im Bindegewebe. Hier überdauern sie in geringerer Zahl und können in unregelmäßigen Abständen zu Wiederaufflammen von Krankheits­symptomen führen. Diese können Monate bis Jahre nach Infektionsbeginn auftreten.

Im Spätstadium wechseln dann aber die betroffenen Gelenke nicht mehr, die Borrelien haben nur noch in „Nestern“ überlebt und werden, wenn sie im Blut auftauchen, sofort eliminiert.

 

Eher selten sind chronische Encephalitiden, wodurch ein hirnorganisches Psycho­syndrom entstehen kann. Die Patienten sind dann oft wesens­verändert und unkonzentriert. In einer eindrucks­vollen Kasuistik wurde über eine Patientin berichtet, bei der die chronische Neuroborreliose unter dem Bild einer Anorexia nervosa ablief.

 

Vereinzelt wurde auch über Krankheitsbilder berichtet, die einem Schlaganfall ähneln. Dabei kann es - wohl auf dem Boden vaskulitischer Prozesse - auch zu Gefäßverschlüssen kommen, die computertomografisch und angiografisch nicht von Verschlüssen anderer Ursache zu unterscheiden sind. Die Diagnose wird in derartigen Fällen über den Nachweis von Borrelienantikörpern im Liquor bzw. das entzündliche Liquorsyndrom gestellt (Literatur mit Übersicht: Belau).

 

Bei kernspintomografischen Unter­suchungen können meist periventrikulär gelagerte Herd­befunde sichtbar werden, die nicht von den bei anderen entzündlichen Herdprozessen (z.B. multipler Sklerose) nachweisbaren Entzündungs­herden unterscheidbar sind.

 

An der Haut vor allem der Extremitäten kann nach längerer Laufzeit die typische Acrodermatitis chronica atrophicans entstehen. Hierbei kommt es vor allem an Händen und Füßen zunächst zu einer kissenartig geschwollenen, blaurot verfärbten Haut, vor allem über den Streckseiten der Gelenke. Später wird die Oberhaut zunehmend atrophisch und bekommt ein zigarettenpapierdünnes, vermehrt transparentes Aussehen. Bei der ACA sind Kombinationen mit einer Polyneuropathie und mit Knochenbeteiligungen fast obligat (Literatur: z.B. Kristoferitsch, Weber).

   

 

 

Auch das Herz kann von der chronischen Form einer Borreliose betroffen sein. Von Stanek wurde über eine Form der chronischen Lyme-Karditis berichtet, bei der die Herzmuskel­entzündung durch im Gewebe verbleibende Borrelien zur Kardiomyopathie führt. Auch in diesem chronischen Stadium konnten die Borrelien im Herzmuskel nachgewiesen werden, es handelt sich also nicht um einen Autoimmunprozeß (Literatur: Stanek).

 

Die Induktion einer reaktiven Arthritis vom Reiter-Typ wurde früher diskutiert. Dabei kommen auch Sehnenbeteiligungen und Schleimbeutelentzündungen vor (Literatur: Weyand+Goronzy). Ob es sich dabei wirklich um eine klassische „reaktive“ Arthritis handelt, scheint heute eher fraglich, da der Erreger tatsächlich zu persistieren scheint.

 

Augenbeteiligungen scheinen nicht so selten zu sein, wie früher angenommen. Praktisch alle Teile des Auges können betroffen sein (Iritis, Konjunktivitis, Uveitis, Papillitis, Vitritis, Panuveitis; Lit Holak, Bialasewicz). Der Nachweis im Einzelfall, daß diese Symptome wirklich von einer Borreliose kommen, ist extrem schwierig bis unmöglich, da man ja keine Gewebsproben entnehmen kann.

 

Auch über Hörstürze und Neuritis vestibularis wurde berichtet, wir haben auch in Einzelfällen Ausfälle des Riechvermögens beobachtet. Die meisten Hörstürze haben aber mit einer Borreliose nichts zu tun.

 

Seltenere Manifestationen sind Muskelentzündungen (Myositis) und Entzündungen des Unterhautfettgewebes (Pannikulitis), eine Hepatitis kommt wohl vor allem bei immungeschwächten Patienten vor. Fälle von subakuter Hepatitis oder Splenitis dürften aber sicher oft unbemerkt bleiben.

 

Borreliose in der Schwangerschaft

 

Eine Übertragung auf das ungeborene Kind in der Schwangerschaft ist möglich, dabei können syphilisähnliche Mißbildungen induziert werden (Literatur: Weber, MacDonald). Einige Befunde sprechen dafür, daß bei Infektionen in der Frühschwangerschaft vermehrt Fehlgebur­ten stattfinden.

 

Grundsätzlich besteht die größte Gefahr dann, wenn eine Schwangere frisch mit einer Borreliose infiziert wird und daher noch keine Antikörper besitzt. Bei chronischen Infektionen, bei denen der Erreger ja nicht mehr im Blutkreislauf zu finden ist, ist das Übertragungsrisiko deutlich geringer.

 

Übertragung durch Blut?

 

Theoretisch können die Erreger auch über Blutkonserven übertragen werden, da sie eine Kühlschranklagerung überstehen. Da die Bakteriämie bei der Borreliose aber nur sehr kurz auftritt, ist eine derartige Übertragung sicher sehr selten (Literaturübersicht: Edly).

 

 

Wie machen Borrelien krank?

 

Im Prinzip entstehen die Krankheits­symptome durch die hohe Affinität der Borrelien zur kollagenen Faser. So kommt es vor allem im Bindegewebe (Kollagen) zu chronischen Entzündungsprozessen. Die Folge sind auch Gefäßentzündungen (vaskulitische Prozesse mit perivaskulären Infiltraten von Lymphozyten und Plasmazellen) (Literatur: Meier, de Koning, Duray). Nachfolgende Kapillarverschlüsse führen zu Störungen des Stoffwechsels und der Energieversorgung in den betroffenen Geweben, wie z.B. den Blutgefäßen, von denen Nerven versorgt werden (Epineurium). Dies wiederum führt zu (Ischämie-) Schmerzen und vermehrter Verletzlichkeit der Knorpel und Knochengewebe. So sind wohl auch die bei längerem Verlauf typischen periartikulären Entkalkungen Folge der schlechten lokalen Energieversorgung im Knochengewebe.

 

Die Borrelien können sich im Kollagen vermutlich teilweise dem Zugriff des Immunsystems entziehen. Dort sind sie auch für Antibiotika relativ schlecht erreichbar.

 

Die Allgemeinsymptome im Verlauf der Infektion (Schwitzen, Herzklopfen, Grippegefühl) werden durch die Reaktion des Immunsystems auf die Borrelien (infektionsbedingte Produktion von Tumornekrosefaktor und Interleukin aus Makrophagen) bedingt. Die Stärke der Allgemeinsymptome scheint mit der Erregerzahl zu korrelieren.

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